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Die Moulagen zeigen eine schwere Erfrierung des Vorfusses mit Absterben aller Zehen. Details zu diesem Patienten sind leider nicht erhalten geblieben.
Im Moulagenmuseum sind aber mehrere ähnliche Patientengeschichten mit Erfrierungen dokumentiert:
Am 18. Februar 1925 abends um 9 Uhr wurde der 41-jährige Bauarbeiter Spahn von einem schnellfahrenden Auto in den Strassengraben geschleudert.
Als er zu sich kam, konnte er wegen den Schmerzen in den Füssen nicht mehr aufstehen und schlief schliesslich ein. Gegen 4 Uhr morgens schleppte er sich in ein Haus, wohin ein Arzt gerufen wurde. In beiden Füssen war das Gefühl gestört und die Zehen konnten nicht mehr bewegt werden.
In der Klinik waren beide Füsse stark geschwollen und blauviolett verfärbt und konnten kaum mehr bewegt werden. Es wurde die Diagnose einer schweren Erfrierung gestellt. Informationen zur Therapie und zum Verlauf fehlen.
Der 48-jährige Handlanger Heinrich K. hatte die vierte Novemberwoche im Jahr 1921 immer im Freien übernachtet, dies ohne besondere Beschwerden. In der ersten Nacht als er wieder in einem Bett schlief, verspürte er vor allem links ein heftiges Brennen und Zucken in den Zehen. Im Verlauf musste die rechte Grosszehe amputiert werden. Der Patient wurde schliesslich mit Verlust einer Zehe geheilt aus der Klinik entlassen.
Patient
R., 21-jähriger Mahler
Anamnese
Am 3. Dezember 1920 sollte der 21-jährige R. in einer noch nicht fertig installierten Mess- und Transformatorenstation eine Eisentraverse streichen, neben Drähten, die unter einer Spannung von 8000 Volt standen. Er bückte sich nach vorne, um mit dem Pinsel die Traverse zu erreichen. Bis dahin reicht seine Erinnerung zurück.
Ein im gleichen Raum arbeitender Monteur hörte das knisternde Geräusch von einem Lichtbogen und fand R. mit dem Kopf und einem Arm über die Lücke ins Parterre herunterhängend. Er unterbrach den Hauptschalter und R. wurde ins Freie getragen. Die fest aufeinander gepressten Zähne mussten mit einem Holzkeil geöffnet werden, um den Verletzten sofort zu beatmen, der er keinerlei Lebenszeichen von sich gab. 10 Minuten später erschien der einweisende Arzt. R. war bewusstlos, hatte ein blaues Gesicht aber atmete regelmässig.
Diagnose
Starkstromverbrennung mit 8000 Volt
Verlauf
In der Klinik kam er wieder zu Bewusstsein. Die Wunden verheilten langsam und es ging im bestens.
Nach einem Monat, am 2. Januar 1921 kam es plötzlich zu einem Temperaturanstieg auf 39 Grad bei starken Kopfschmerzen, ohne dass es Hinweise auf eine Infektion gab. Dieser Zustand dauerte 5 Tage. Am 23. Januar kam es erneut zu einem Temperaturanstieg, Kopfschmerzen und dann am 3. Februar zu einer Apathie, heftigen Kopfschmerzen und Erbrechen. In den nächsten Tagen hatte R. zunehmend Mühe mit Sprechen und am 7. Februar war er kaum mehr ansprechbar.
Diagnose
Erhöhter Hirndruck mit Verdacht auf Eiterung oder Einblutung im Schädel
Therapie
Noch gleichentags wurde notfallmässig der vordere Bereich der Narbe am Kopf aufgeschnitten, welcher wegen der Sprachstörung am ehesten betroffen schien, und der Schädelknochen durchbohrt. Es entleerte sich Eiter aus einer etwa hühnereigrossen Abszesshöhle.
Weiterer Verlauf
Nach zwei Tagen kam der Patient langsam zu sich, konnte teilweise sprechen, hatte aber eine auffallende Störung der Merkfähigkeit. Die Wunde am Kopf, welche bis auf die Hirnhaut ging, heilte über mehrere Wochen zu und der Patient konnte am 14. April 1921 entlassen werden. Bei Austritt bestand noch eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses. Zwei Jahre nach dem Unfall konnte R. seinen Beruf als Mahler wieder in vollem Masse ausüben und hatte lediglich noch leichte Schwindel beim Bücken und immer noch etwas Mühe mit dem Kurzzeitgedächtnis.
Quellen
• Stadtmann Doris: Ein Beitrag zur Kasuistik der elektrischen Schädelverletzungen. Diss med Zürich, 1923
Patient
Paul H., 15 jährig
Am Abend des 3. Juli 1919 wurden die Bewohner eines Aussenquartiers der
Stadt Zürich durch eine mächtige Detonation und eine weithin sichtbare
aufschiessende weisse Feuergarbe erschreckt. Der akustische und visuelle Eindruck war derart, dass die Anwohner den Absturz eines Flugzeuges auf den sich in etwa 300 m ausserhalb der Häuserreihe erhebenden Hügel, vom dem her die Flamme sichtbar wurde, annahmen.
Ein Elektromonteur, der den Vorgang aus Entfernung beobachtet hatte, erkannte ihn sogleich als eine elektrische Entladung an der Starkstromleitung des Albulawerkes (45‘000 Volt Spannung).
Der Unfall ereignete sich an einem Masten der Leitung auf einem Hügel (siehe Foto).
In der obersten Traverse unterhalb des ersten Holzbalkens hing ein Knabe, der mit den Unterschenkeln und Füssen innerhalb der Gitterkonstruktion verankert war, mit Oberschenkel und übrigem Körper im Bogen nach aussen hintenüberhing und leicht pendelte. Die Arme fielen schlaff herunter. Nach einiger Zeit wurde ein leises Stöhnen vernehmbar.
Der Mast wurde als stromfrei erkannt und der Elektromonteur und ein Helfer holten den Knaben herunter. Ein herbeigeeilter Samariter wollte sofort „pumpen“, d.h. künstliche Atmung anwenden, doch der geschulte Elektromonteur erkannte, dass der Knabe ruhig atmete. Nach 40 Minuten wurde der Junge langsam wach, gab aber nur verworrene Antworten.
Drei Stunden nach dem Unfall erfolgte die Einlieferung in die Chirurgische Klinik. Der Junge war wach, zeigte 12 Verbrennungswunden an den Armen und Beinen. Er litt unter Kopf- und Gliederschmerzen und gab an, dass er auf den Masten geklettert sei, um sich das Leben zu nehmen.
Diagnose
Starkstromverbrennungen nach Suizidversuch
Befunde
Abbildung mit den Verbrennungswunden direkt nach Einlieferung.
Im Verlauf der Hospitalisation kam es zuerst zu Schwellungen und dann zu Abstossungen in den Bereichen der schweren Verbrennungen. Diese Befunde wurden mit Moulagen dokumentiert.
Abbildung der Moulagen aus der publizierten Fallgeschichte:
Psychologische Anamnese
Besonders eindrücklich ist die psychologische Anamnese, die von den Ärzten erhoben wurde und hier zusammengefasst wiedergegeben wird:
Der Knabe sei von väterlicher Seite her genetisch schwer belastet: Bereits sein Grossvater sei ein schwerer Trinker gewesen, der die Familie vernachlässigt habe. Sein Vater war einmal zur psychiatrischen Beobachtung hospitalisiert. Er lebte mit seiner Frau in ewigem Streit und misshandelte sie oft. Wegen Eifersuchtswahn habe er sie mit dem Revolver bedroht und machte selbst einen Suizidversuch mit demselben, wobei sich aber die frsich gekaufte Waffe nicht entlud. Ein psychiatrisches Gutachten erklärte ihn für einen reizbaren Psychopathen. Nach der Ehescheidung blieb der damals 4 jährige Knabe allein beim Vater und war meist sich selbst überlassen, bis er mit 9 Jahren eine Stiefmutter erhielt, die ihn vor der unvernünftigen Strenge des Vaters in Schutz nahm.
Der Knabe war ein schlechter Schüler, blieb aber nie sitzen. Er zeigte früh dissoziale Eigenschaften indem er, weil er kein Taschengeld bekam, Geld zu Hause stahl um sich wie seine Kameraden Kleinigkeiten kaufen zu können. Auch exemplarische Strafen durch den Vater mit der eigens dafür angeschafften Peitsche hielten ihn nicht davon ab.
Während seiner Lehre als Schneiderlehrling hatte er sich nun mit gestolenen Lebensmittelrationierungsmarken einen „Leitfaden für Schneiderlehrlinge“ gekauft. Als in der Vater daraufhin bedrohte „jetzt gebe es etwas, was er noch nie gegeben habe“, floh er durch das Fenster über die Dächer von 6 Nachbarhäuser hinweg in Richtung Uetliberg um sich von dessen Aussichtsturm herabzustürzen.
Auf dem Weg wurde er wegen einer Budenstadt wurde er abgelenkt und erst gegen Abend wurde ihm wieder bewusst, dass er nicht nach Hause konnte. Er entdeckte den Starkstommasten und nachdem die letzten Besucher des nahegelegenen Restaurants (Muggenbühl) gegangen waren, kletterte er auf den Masten.
Unterdessen hatte es zu regnen begonnen und bevor er die Starkstromleitung berühren konnte gab es einen Funkenschlag auf seine nasse Kleidung und er blieb durch einen weiteren Zufall bewusslos mit den Beinen im Gestänge des Turmes hängen.
Der Psychiater Prof. Maier, Direktor der Psychiatrischen Poliklinik, attestierte eine vorbestehende geistige Debilität ohne psychische Schädigung durch den Starkstromunfall. Die klare erbliche Belastung mit psychischer Abnormität und direkter Belastung durch den Selbstmordversuch des Vaters erkläre auch die Vorbestimmtheit der Handlung des Patienten.
Allerdings wurde auch die ungünstige Einwirkung der Erziehung, bei welcher der Junge lange Zeit das einzige Objekt des väterlichen Autokratismus gewesen war, als wichtiger Faktor angesehen. Aus diesem Grund wurde der Knabe über die chirurgische Indikation hinaus auf der Klinik behalten und erst entlassen, als er im Einverständnis mit seinen Eltern unter Amtsvormundschaft gestellt worden war.
Seitdem arbeitet er, ohne je zu Klagen Anlass zu geben, bei einem Schneider auf dem Lande.
Quellen
• Jaeger Hans: Zur Kasuistik des Selbstmordes durch elektrischen Strom. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 159 (1920)